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Kann man Massenmord wiedergutmachen?

10. Juni 2008 , Geschrieben von Parents Veröffentlicht in #Menschenrechte

8. Juni 2008, 16:19 Uhr
Von Sven Felix Kellerhof
Gerichtsurteil
Kann man Massenmord wiedergutmachen?
Vergangene Woche gab es in Rom ein zukunftsweisendes Urteil: Ehemalige NS-Zwangsarbeiter dürfen Entschädigungen gegen die Bundesrepublik vor italienischen Gerichten einklagen. WELT ONLINE sprach mit dem Frankfurter Völkerrechtler Michael Bode über die drohende Prozessflut und die Würde des Menschen.
WELT ONLINE: Wie beurteilen Sie das Urteil des obersten italienischen Zivilgerichts in Rom?
Foto: privat
Michael Bothe, Völkerrechtler und Präsident der Internationalen humanitären Ermittlungskommission in Bern
Michael Bothe: Es ist ein zukunftsweisendes Urteil. Es bestätigt einen internationalen Trend, Menschen, die von Völkerrechtsverletzungen betroffen sind, Rechtsbehelfe nach innerstaatlichem Recht zu gewähren. Solche Rechtsbehelfe gab es bislang zu wenig. Kommt dieser Trend zur Geltung, ist der Einzelmensch nicht mehr nur Objekt des Völkerrechts, er wird sein unmittelbarer Nutznießer. Konsequent stellt das Gericht Wert und Würde der menschlichen Person ins Zentrum seiner Argumentation. Vielleicht ist das Urteil ja auch ein Anlass, dass die Gerichte in Italien und anderswo ihre negative Rechtsprechung zulasten der serbischen Opfer des Bombardements während der Kosovo-Krise überdenken.

WELT ONLINE: Die Bundesregierung prüft, ob sie gegen das Urteil vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag klagen wird. Ist das eine aussichtsreiche Strategie?

Bothe: Ob der Gerichtshof den traditionellen Grundsatz der Staatenimmunität dem neueren Prinzip des individuellen Rechtsschutzes gegen schwere Völkerrechtsverletzungen den Vorzug geben wird, ist schwer zu sagen. In dem ähnlich gelagerten Fall Kongo gegen Belgien 2002, wo es um belgische Strafverfolgungsmaßnahmen gegen einen kongolesischen Außenminister ging, dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen wurden, hat der Gerichtshof der Immunität den Vorzug gegeben. Das ist vielfach, meines Erachtens zu Recht, heftig kritisiert worden. Ein anderer Fall dieser Art (Kongo gegen Frankreich) ist anhängig. Es ist keineswegs ausgemacht, dass das Gericht bei seinem traditionellen Ansatz bleibt.

WELT ONLINE: Aus der Perspektive des einzelnen Betroffenen ist nachvollziehbar, die Aushebelung der bisher gültigen Immunität von Staaten gegen Individualklagen zu begrüßen. Was sind die Folgen für das Völkerrecht, das ja die Beziehungen zwischen Staaten regelt?

Bothe: Das Völkerrecht ist der Gewinner dieser Entwicklung. Denn es geht ja um Einhaltung von Völkerrecht: Der individuelle Rechtsschutz ist ein neuer und zusätzlicher Weg, Verletzungen von Völkerrecht abzustellen und das Völkerrecht zur Geltung zu bringen. Gerade wo das Völkerrecht den Einzelnen schützt, ist es bei den staatlichen Bürokratien nicht immer in den besten Händen. Ihr Handeln ist vielfach durch politische Rücksichtnahmen geprägt – und es sind diese Bürokratien, die die traditionellen Verfahren der Durchsetzung des Völkerrechts beherrschen: Verhandlungen und Streitregelung zwischen den Regierungen.
WELT ONLINE: Bei den Verhandlungen über die Entschädigung von Zwangsarbeitern 1998 bis 2000 war eine der entscheidenden Fragen die Sicherung der Rechtssicherheit. Wird durch das Urteil in Rom dieser Kompromiss unterminiert?
Bothe: Rechtssicherheit ist eine, Gerechtigkeit möglicherweise eine andere Sache. Natürlich ist Rechtssicherheit wichtig, aber auch die Gleichbehandlung der Opfer. Diese ist möglicherweise besser sicherzustellen, wenn Regierungen Verträge schließen, die alle Opfer oder jedenfalls bestimmte Kategorien von Opfern umfassen. Diese Möglichkeit schließt das Urteil nicht aus. Wenn es zu neuen Absprachen zwischen den Regierungen kommt, die den Kriegsopfern mehr bieten als bisher, wird es das Verdienst dieses Verfahrens sein. Im Übrigen gibt es zwischen Deutschland und Italien schon vertragliche Regelungen über Vermögensfragen nach dem Zweiten Weltkrieg. Deren Beurteilung und Tragweite ist in dem Urteil ausdrücklich offengelassen. Das Urteil vom 6.Mai zur Klage eines italienischen Zwangsarbeiters sagt nur etwas zur italienischen Gerichtsbarkeit, nichts zur Begründetheit der Klage. Der Prozess ist noch nicht gewonnen!
WELT ONLINE: Niemand vermag Verbrechen wie Massenmord oder millionenfache Zwangsarbeit wirklich „wiedergutzumachen“. Kann die Entschädigung von Überlebenden oder Angehörigen mehr sein als eine symbolische Handlung?
Bothe: Wiedergutmachung von Unrecht bedarf der Symbole! Man soll Symbole nicht gering schätzen. Wichtig ist, dass sie die richtige Botschaft aussenden.

Quelle:
Welt Online
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