Einen herben Rückschlag hat die Neonazi-Szene in Norddeutschland durch das Demo-Verbot in Hannover am 1. Mai hinnehmen müssen. Vor allem den “Autonomen Nationalisten”, die im Look ihrer Gegner, den Antifaschisten, erscheinen und durch Erlebnisorientiertheit und Aggressivität auffallen, ist die zentrale Veranstaltung im Jahr weggebrochen. Einige Rechtsradikale wichen auf andere Demos aus, andere stürmten DGB-Kundgebungen, jagten Gegendemonstranten, griffen Polizisten an und veranstalteten Spontan-Demonstrationen.
Kurz vor halb 7 am Bahnhof in Wunstorf (Region Hannover) am Freitag, 1. Mai 2009. Eine Gruppe von acht “Autonomen Nationalisten” (AN) aus Wunstorf und Seelze marschiert zum Bahnhof. Die Bundespolizei kontrolliert die Neonazis, denn nach Hannover dürfen sie an diesem Tag nicht. Das Bundesverfassungsgericht hatte am Donnerstag, 30. April 2009, eine Beschwerde der Organisatoren des Großaufmarsches gegen das Verbot ihrer Demo in der Niedersächsischen Landeshauptstadt abgewiesen.
Ein Transparent und ein Megafon wollen die schwarz gekleideten Rechten zur Demo ins nordrhein-westfälische Siegen mitnehmen. Die Demonstration in Siegen sollte vor allem von den jungen Neonazis aus der Region Hannover, dem Kreis Schaumburg und Teilen Ostwestfalen-Lippes als Ausweichsort genutzt werden.
Auch in Bückeburg (Kreis Schaumburg) sammeln sich etwa 20 Rechtsradikale am Bahnhof, um ins ostwestfälische Minden zu fahren und dort auf etwa ein Dutzend weitere “Kameraden” zu treffen. Mit diesen fuhren sie dann ins Ruhrgebiet, um anschließend nach Siegen weiterzureisen.
Dortmund: Neonazis stürmen DGB-Aktion
Enttäuschend dürfte diese Demonstration allerdings verlaufen sein. Kaum mehr als 100 Rechte trugen ihren Protest dort auf die Straße. Die von AN so erwarteten und erhofften Kämpfe mit der Polizei und Linken blieben aus.
Auch weil eine große Gruppe aus einer Hochburg der AN gar nicht erst nach Siegen kam. In Dortmund, wo der “Nationale Widerstand” fast ausschließlich als AN auftritt, versuchten zirka 300 teils vermummte Neonazis eine DGB-Demo anzugreifen. Einige Teilnehmer der Gewerkschaftsveranstaltung wurden verletzt, ebenso wie Polizisten. Wäre die Demonstration in Hannover nicht verboten worden, wären die Rechtsradikalen wohl nicht auf die Idee gekommen, die weitgehend ungesicherte DGB-Kundgebung zu attackieren. Vermutlich hätten sie im Polizeikessel in Hannover gestanden. 280 bis 330 Neonazis in Dortmund wurden von der Polizei eingekesselt und festgenommen. Gegen sie wird wegen Landfriedensbruchs ermittelt. Am Sonnabend sprach ein Polizeisprecher von einer “neuen Dimension” an Gewalt.
Ob unter den Festgenommenen auch Rechtsradikale aus der Region Hannover und den umliegenden Kreisen sowie aus Minden waren, könne noch nicht gesagt werden, hieß es am Sonnabend, 2. Mai 2009, von der Dortmunder Polizei.
Kurzfristige Aufmärsche in Niedersachsen
In Niedersachsen gingen Rechtsradikale spontan auf die Straße und entgingen somit dem Verbot. An den Autobahnen postierten sich daher Späher der Polizei, die auffällige Fahrzeuge sichteten, teils verfolgten und teils anhielten. Trotz dieser Kontrollen gelang es etwa 100 Neonazis in Rotenburg an der Wümme aufzumarschieren. Sie störten ein DGB-Maifest und griffen einen Polizisten an, der leicht verletzt wurde. Die unangemeldete Spontan-Demonstration, die lediglich etwa 15 Minuten dauerte, blieb ohne Folgen für die Rechten. Sie zerstreuten sich.
Im nahegelegenen Verden sollen anschließend spontan einige Dutzend – Beobachter sprechen von maximal 40 – Neonazis aufgetreten sein. Die Polizei bestreitet diese Demonstration. Kurz darauf trafen etwa 400 Linke mit Zügen in Verden ein und demonstrierten gegen Neonazismus.
Rechte festgenommen
Am Nachmittag sammelten sich etwa 35 Neonazis in Friedland bei Göttingen, die ebenfalls eine Spontan-Demo durchführten. Unter den Anwesenden war auch der Neonazi-Kader Thorsten Heise, der im Bundesvorstand der NPD sitzt. Die Rechten wurden von der Polizei festgenommen.
Vor einem rechten Szene-Laden im niedersächsischen Tostedt (Kreis Harburg) kam es zu Rangeleien zwischen rund 40 Neonazis und der Polizei.
In Gifhorn setzte die Polizei 18 Neonazis fest, die offenbar auf dem Weg nach Hannover waren. Vier Minderjährige wurden ihren Eltern übergeben, die anderen 14 Rechtsradikalen kamen in Gewahrsam. Sie stammen aus dem Landkreis Gifhorn und aus Wolfsburg. Auch drei Neonazis der “Kameradschaft 73″ aus Celle, die den Aufmarsch in Hannover veranstalten wollte, wurden bei der Fahrt in die Landeshauptstadt von der Polizei gestoppt und in Gewahrsam genommen.
Eine rechte Demonstration mit etwa 120 Teilnehmern startete am Mittag in Itzehoe (Kreis Steinburg) in Schleswig-Holstein. Bereits am Morgen hatten sich die Teilnehmer vor dem neonazistischen “Club 88″ in Neumünster gesammelt. In Itzehoe wurden über 40 Neonazis aus Schleswig-Holstein und Dänemark in Gewahrsam genommen.
In Süddeutschland kam es zu einigen angemeldeten Aufmärschen, darunter eine Demo von Neonazis mit etwa 1000 Teilnehmern in Ulm. Etwa 150 Rechte konnte aufgrund von Gegendemos in Mainz nicht loslaufen.
Ein NPD-Maifest bei der Parteizentrale in Berlin lockte nicht die erwarteten parteifreien Kräfte. Dort trat jedoch ein ehemaliger SS-Mann auf.