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Internet und Rechtsextremismus – Ein Interview mit MUT

17. Mai 2009 , Geschrieben von Parents Veröffentlicht in #Kampf gegen Nazis

 

In München fand das "40. Münchner Mediengespräch" statt. Im Mittelpunkt stand eine Podiumsdiskussion im BayernForum der Friedrich-Ebert-Stiftung. Eva Rosenstein von der Münchener Journalistenakademie führte dazu ein Gespräch mit der MUT-Redaktion - über das Ausmaß von Neonazismus im Netz und über die Hoffnung von Rechtsextremen, durch die Wirtschaftskrise im Wahljahr 2009 einen Boom zu erleben.

Die Fragen stellte Eva Rosenstein, die Antworten gab Holger Kulick, www.mut-gegen-rechte-gewalt.de

Eva Rosenstein: Die Themen Rechtsextremismus und Wirtschaftskrise werden häufig in Zusammenhang gebracht. Beobachten Sie eine Zunahme rechtsradikalen Gedankenguts seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008?

Holger Kulick: Innerhalb der organisierten rechtsradikalen Szene wird natürlich versucht, das Thema auszuschlachten. Für die NPD beispielsweise „stehen die Zeiten auf Sturm – so offensichtlich wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr“ und es wird zur „Systemüberwindung“ des „liberalkapitalistischen Systems und des bestehenden volksfeindlichen Parteienstaats“ aufgerufen. Und in Internet-Foren haben alle bekannten Vorurteile natürlich Hochkonjunktur. Die Bösen sind die Amerikaner, Alliierten und die Juden und die „Ostküste“ mit der Wallstreet in New York. Diese Klischees sind in der Rechtsaußen-Szene nicht neu. Besonders im bürgerlichen Lager besteht allerdings die Gefahr, dass in Wahlkampf-Zeiten bei anhaltender Weltwirtschaftskrise die generelle Anfälligkeit für solche Feindbildpolitik wächst.

In welcher Form unterwandern rechtsextreme Gruppierungen das Internet?

Holger Kulick: Mehr als 1800 neonazistische Internetauftritte werden bundesweit gezählt. Die rechtsextreme Szene hat das „Weltnetz“, wie das Internet dort gerne eingedeutscht wird, schon frühzeitig als ihr wichtigstes Medium erkannt und nutzt es, um miteinander zu kommunizieren, zu debattieren und sich über Aktionen, Aufmärsche und Konzerte zu informieren. Es gibt selbsternannte „freie Netze“, Selbstdarstellungs-Websites von rechtsautonomen Gruppen und vielen Einzelpersonen, die sich recht offen zu rechtsextremer Gesinnung bekennen – dies übrigens auch immer wieder in StudiVZ oder SchülerVZ. Es gibt darunter auch sehr modern layoutete Propaganda-Websites, da muss man erst zweimal hinschauen um zu decodieren, warum dort germanische Runen mit einem bestimmten Vokabular aus der Neonaziszene kombiniert werden. Auch Esoterik-Kreise mischen da mit.
Reichlich Neonazipropaganda ist auch auf YouTube, in Wikipedia oder in Spielforen zu finden. Es gibt praktisch kein Feld, das die Neonaziszene nicht für sich umzufunktionieren versucht. Werden Rechtsextremisten dort aufgrund von User-Hinweisen aufgespürt und gelöscht, tauchen sie beispielsweise bei YouTube ganz schnell unter einem anderen Namen wieder auf. Man findet dort viel Nazipropaganda, einschlägige Musik und sogar Steckbriefe, in denen politische Gegner und Journalisten angeprangert werden. Die Kontrolleure kommen da oft gar nicht mehr hinterher. Wer soll denn auch vermuten, dass man in einem Video, das beispielsweise harmlos „Zu Besuch im Ort Soundso...“ heißt, zunächst auch nur touristische Stadtansichten sieht, aber in der zweiten Hälfte plötzlich eine Siedlung, eine Klingel oder einen Briefkasten mit Namensschild, und die Kamera zoomt mehrfach an ein Fenster heran. Das ist dann der Adressenhinweis, wo ein missliebiger Nazigegner zum Abschuss freigegeben wird.

Es gibt auch offizielle Internetseiten innerhalb der rechtsextremen Szene?

Holger Kulick: Das fängt mit der regelmäßig optisch relaunchten NPD-„Heimatseite“ an, es gibt intensiv besuchte Informationsseiten für die gesamte rechtsextreme Szene, wie Altermedia oder Foren wie das Thiazi.net der „germanischen Weltnetzgemeinschaft“, wo geschickt Szenenachwuchs umgarnt und geködert wird. Dazu kommen die Internet-Angebote von zahlreichen braunen Internetverbänden und internationale Seiten wie der Auftritt des Szenenetzwerks Blood and Honour, wo Neonazis dann auch weiterführende Link-Hitparaden der weltweit bestbesuchten Neonaziwebsites finden. Und von da aus kann man tief in verstecktere Foren oder auch temporäre rechtsextreme Seiten eintauchen, die oft auch nur mit Zahlenkombinationen gekennzeichnet sind. Demonstrationen der Neonaziszene werden übrigens häufig dazu genutzt, solche neuen Internetadressen bekannt zu machen. Die Internet-Adressen stehen dann als besonders wichtiges Element auf den mitgeführten Transparenten.

In einem neurechten Strategiepapier heißt es: „Wir müssen unsere Aussagen so gestalten, dass sie nicht mehr ins Klischee des Ewig-Gestrigen passen“. Welche verschiedenen Lager gibt es bei den Rechtsextremen?

Holger Kulick: Zentral ist gegenwärtig ein Richtungsstreit, der in der rechten Szene allerdings schon länger schwelt. Er ist kürzlich auf dem Bundesparteitag der NPD in den beiden Lagern wieder eskaliert. Noch haben dort die so genannten „Hitleristen“ die Mehrheit. Das sind diejenigen, denen ganz viel daran gelegen ist, das Erbe ihrer Großväter, wie sie oft sagen, zu verteidigen, die das Dritte Reich hochhalten und von Rudolf Heß und Hitler schwärmen. Sie stehen einem wachsenden Lager von „Modernisten“ gegenüber, die sagen, wir müssen das Schwärmen vom Gestern hinter uns lassen und ins zeithistorische Grab werfen, das Rückwärtsgewandtsein rückt uns nur in schlechtes Licht. Die erkennen auch an, dass es den Holocaust gab. Sie wollen nun Neues konstruieren; die einen sind eher rechtspopulistisch-bürgerlich orientiert, wie die Pro-Köln-Bewegung oder die DVU, die anderen propagieren einen Neuaufbruch mit Elementen rechter und linker Ideologie und tönen vom “Nationalen Sozialismus“ – das Nationale als Betonung der Abkehr von der Globalisierung und der Sozialismus als Kontrast zum Kapitalismus. Gerade dieses Lager strahlt gegenwärtig eine zunehmende Faszination in Schüler- und Studentenkreise aus. Dort wird mitunter auch sehr geschickt argumentiert und mit zeitgemäßem Design und Sound bis hin zu Hiphop-Songs mehr Moderne suggeriert. Aber das Kernelement, der tiefsitzende Rassismus, bleibt.


 



Seit sechs Jahren verfolgt www.mut-gegen-rechte-gewalt.de, die Website des stern und der Amadeu Antonio Stiftung, zwei wichtige Ziele: Zu mehr Zivilcourage zu ermutigen und über das Ausmaß von Rechtsextremismus zu informieren. Sind Sie bei Ihrer Arbeit als Verantwortlicher dieses Portals rechtsradikalen Drohungen ausgesetzt?

Holger Kulick: Beschimpfungen und manchmal Drohbriefe gehören dazu. Davon darf man sich aber nicht einschüchtern lassen. Dann hätten die „Angsteinjäger“ ja ihr Ziel erreicht; dieses Feeling darf man ihnen jedoch nicht gönnen. In der Tat kommen bis zu einem Drittel der E-Mails, die wir erhalten, aus der rechtsextremen Szene, zum Teil wird der Ton aber friedlicher und ist zunehmend intellektueller geprägt – das fällt auf. In Leserforen wird gerne versucht, auf diese Weise die Meinungshoheit zu erobern, manchmal geschieht das offenbar direkt aus Schulungsseminaren der rechten Szene heraus. Dann geht binnen weniger Minuten ein Dutzend Mails mit einer vorgegeben Argumentationslinie ein – nur die Absender und die Wortverpackung unterscheiden sich.

Mit dem Taschenbuch MUT-ABC für Zivilcourage, das Sie im Mai 2008 herausbrachten, geben Sie jungen Leuten Handlungsanweisungen für einen mutigen Umgang mit Neonazis und rechter Gewalt. Welcher Gefahr sind Jugendliche generell ausgesetzt?

Holger Kulick: Im MUT-ABC versuchen wir, Jugendliche auf die Gefahren rechtsextremer Ideologien und auf die Verführbarkeit durch solche Ideologen hinzuweisen, und zeigen anhand von Beispielen, wie man sich mutig gegen rechte Gesinnung stellen kann. Solche Ratgeber sind vor allem für Schüler wichtig. Denn das Einstiegsalter in die Neonaziszene liegt bei zwölf bis 15 Jahren. Dann sind Jugendliche in einer Abnabelungsphase vom Elternhaus und suchen nach eigener Identität. Es hängt dann sehr davon ab, in was für Cliquen, Vereine und Strukturen sie hineingeraten. Deshalb wird in dieser Altersgruppe sehr zielgerichtet geworben. Mit Gratis-CDs, mit Einladungen zu Konzerten, Abenteuerfreizeiten oder auch mit Hausaufgabenhilfen locken Neonazis junge Leute an. Da wird dann „Kameradschaft“ suggeriert. Jeder bekommt eine kleine Aufgabe oder ein Amt zugeteilt und fühlt Verantwortung für seine Gemeinschaft. Später gibt es Übungen und Vorträge, in denen Vorurteile und Ideologisches gelehrt werden. Mitunter gibt es Gruppen, in denen Mutproben dazukommen: Das kann ein hingeschmiertes Hakenkreuz oder ein umgeworfener Grabstein auf einem jüdischen Friedhof sein - oder auch Gewalt gegen Ausländer und vermeintliche Linke. Diese Rituale steigern sich nach und nach, denn man will sich gegenseitig imponieren. Und eine Strafe adelt nur. Vor Gericht deckt man sich dann gegenseitig und gibt sich geläutert. Ein taktisches Spiel.

Wie können Journalisten kompetent über das Thema berichten, ohne Einzelfälle wie rechtsextreme Gewalttaten unter- aber auch nicht überzubewerten?

Holger Kulick: Am besten ist es, wenn ein Journalist das Thema nicht nur ereignisbezogen an einem Tag aufzäumt, sondern sich Zeit nimmt, hintergründig und vor allem kontinuierlich berichtet, also dieses Thema möglichst mit Tiefgang behandelt. Zunehmend erkennen Redaktionen und Agenturen dies und bemühen sich, zumindest einen Redakteur in diesem Thema zu schulen. Wo Personalmangel herrscht, bedient man sich auch bei freien Fachautoren. Zeitungen, die sich intensiv mit dem Thema befassen, werden von ihren Lesern auch belohnt. Im Norden erlebt das der Weserkurier mit sehr gut nachgefragten regelmäßigen Sonderbeilagen zu dem Thema, im Süden geben die Nordbayerischen Nachrichten ein gutes Beispiel. Der fränkische Raum gilt als neues Operationsgebiet der „Neuen Rechten“. Eine Studentengruppe an der Universität Bamberg wurde von der Zeitung beauftragt, eine Wochenendbeilage zum Thema Rechtsradikalismus zu erstellen. Es kam eine extrem lohnende Lektüre mit vielfältigen Beiträgen dabei heraus. Sie gibt es auch als Download über die Internetseite der Universität Bamberg. Solche Aktionen kann man anderen Lokalzeitungen nur empfehlen!

Noch mehr über Neonazis im "Weltnetz 2.0"

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de  & www.journalistenakademie.de /

16.05.2009
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