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60 Jahre Demokratie mit MUT

25. Mai 2009 , Geschrieben von Parents Veröffentlicht in #Politik

 

Ein unglaublicher Zulauf. 600.000 Menschen feierten am 23. Mai ein Fest der Demokratie am Brandenburger Tor. Der Anlass: Das Grundgesetz ist jetzt 60 Jahre alt. Auch MUT durfte sich auf der Straße des 17. Juni präsentieren. Eine häufig gestellte Frage: Wie ist das eigentlich mit der Meinungsfreiheit für die rechtsextreme NPD? Warum durfte die überhaupt einen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl nominieren. Sei das nicht blamabel für Deutschlands nunmehr 60 Jahre alte Demokratie? Nein im Gegenteil. Die hält das aus. Aber Meinungsfreiheit für Nazis, muss das wirklich sein? Eine Reflektion.

Von Holger Kulick und Fabian Stroetges

Das Bündnis für Demokratie und Toleranz hatte die MUT-Redaktion spontan eingeladen, sich als diesjähriger Preisträger im Wettbewerb "Aktiv für Toleranz" mit auf ihrem Stand zu präsentieren. 600.000 Menschen besuchten das Bürgerfest, der Stand war stets proppevoll und zeitgleich lief nebenan im Reichstagsgebäude die Bundespräsidentenwahl, die unter Standbesuchern für heftigen Gesprächsstoff sorgte. Warum durfte dort überhaupt auch ein NPD-Mann kandidieren? Und hätte der dort reden dürfen? Vor Beginn der Bundesversammlung wollte die NPD nämlich per Geschäftsordnung unbedingt Rederecht für ihren Bundespräsidentenkandidaten Frank Rennicke beantragen, scheiterte aber kläglich. Vorstellungsrunden gibt es dort generell nicht, dazu hatten alle Kandidaten im Vorfeld genügend Zeit.

Dennoch zeterte die Partei nun wie zu erwarten über "Heuchelei" und "undemokratische Methoden" - ein zu erwartendes und für sie übliches Propagandaspiel. Denn allzugerne stellen Rechtsextremisten Demokraten gerne als Antidemokraten hin. Schließlich herrsche unter ihnen keine Meinungsfreiheit – für Neonazis. Bei Debatten fühlen sie sich ausgesperrt oder das Mikrofon wir ihnen abgedreht. Gewöhnlich kosten Neonazis solche Abwehrreaktionen „der Demokraten“ voller Stolz auf ihren Homepages aus und meckern: Dies könne wohl doch keine Demokratie sein, in der nicht jeder sagen kann, was er will! Doch damit machen sich das Neonazis viel zu einfach.

Demokratie bedeutet nämlich mehr als nur Meinungs- und Wahlfreiheit, sie verlangt auch verantwortungsvolles Handeln. Sie muss nicht jedem Mist ein Forum basteln und verlangt mit Recht die Einhaltung eines Wertekatalogs. Denn die Erfahrungen, wie zum Ende der Weimarer Republik Neonazis die Demokratie für ihre Machtergreifung umfunktionierten, lehren, dass eine Demokratie nicht alles tolerieren muss. Die „wehrhafte Demokratie“, die nach dem Schrecken der Nazizeit geschaffen wurde, hat sich Abwehrmechanismen zugelegt, um die Stabilität des demokratischen Rechtsstaats und um die Achtung der Menschenrechte zu garantieren.


 

600.000 Besucher strömten zum Fest der Demokratie.Aber Demokratie feiern ist eine Sache. Man muss sie auch ausfüllen und leben.

Das "Wählen-Können " ist dabei nur eine Errungenschaft der Demokratie, was aus dem Griechischen übersetzt bekanntlich Herrschaft des Volkes heißt. Dafür reicht es nicht, regelmäßig nur sein Kreuzchen auf dem Wahlzettel zu machen. Eine lebendige Demokratie lebt davon, dass die Bürger sich auch darüber hinaus engagieren, als wache Zivilgesellschaft in einem zivilisierten Staat. Allerwichtigste Voraussetzung: Will ein Land demokratisch sein, muss es auch die Einhaltung der Menschenrechte garantieren.

Daher sind die Menschenrechte und Staatsprinzipien, die demonstrativ am Anfang des Grundgesetzes stehen, besonders geschützt: Dank der „Ewigkeitsklausel“ in Artikel 79 könnte selbst eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag die Grundsätze der Grundgesetz-Artikel 1 bis 20 nicht ändern. Mit ihnen sind nicht nur Sozialstaat, Volkssouveränität, Föderalismus, Rechtssicherheit und Widerstandsrecht geschützt, sondern allem voran die Grundrechte. Maßgeblich gehört auch die Meinungsfreiheit dazu. Auf sie fußt Demokratie. Denn wie soll man auch über politische Fragen abstimmen, wenn nicht frei über sie diskutiert werden kann? Meinungsfreiheit ist daher ein Grundstein der Demokratie und laut Bundesverfassungsgericht „schlechthin konstituierend“. Doch genau darauf pocht auch die NPD um ihre oft volksverhetzende und rassistische Propaganda loszuwerden.


Bewußt gesetzte Grenzen der Meinungsfreiheit

Doch wie weit geht Meinungsfreiheit? Das Grundgesetz findet Grenzen beim Jugendschutz, dem Recht der persönlichen Ehre – Beleidigungen werden also nicht als Meinungsäußerung geschützt – und den Vorschriften der allgemeinen Gesetzte. Danach ist beispielsweise das Leugnen des Holocausts nicht nur strafrechtlich verboten. Es ist schlicht eine Fehlinformation und trägt daher nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht zum geschützten Prozess der Meinungsbildung bei. Wer dennoch behauptet, den Massenmord an den Juden habe es nicht gegeben, kann sich deshalb nicht auf die Meinungsfreiheit berufen – schließlich lügt er.

Auch rassistische Herabsetzungen sind durch die Meinungsfreiheit nicht abgedeckt – weil sie Menschen erniedrigen und verletzen. Rassismus steht generell im Widerspruch zu den Grundwerten der Demokratie. Als Richtschnur hält das Artikel 1 des Grundgesetzes fest: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Bewusst wurde nicht etwa einschränkend formuliert: „Die Würde des Deutschen ist unantastbar“. Durch das Grundgesetz geschützt sind somit prinzipiell alle Menschen, die sich in dessen Geltungsbereich aufhalten.


 

Abends auf der Tribüne vor dem Brandenburger Tor: Bundresregierung und der soeben wiedergewählte Bundespräsident

Das bekräftigt ebenso Artikel 3: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, auch hier steht übrigens nicht „alle Deutschen“. Es gibt in einer Demokratie, die sich ernst nimmt, also keine Vorzugsbehandlung für eine bestimmte Personengruppe, wie Nazis das anstreben. Das haben die Verfassungsväter aus der bitteren deutschen Vergangenheit im Dritten Reich gelernt und dieses Pochen auf Gleichwertigkeit aller Menschen zum übergeordneten Wert der Demokratie schlechthin gemacht. Hier liegt ein elementarer Unterschied zur völkisch geprägten Staatsvorstellung der Nationalsozialisten. Sie halten an der Ungleichwertigkeit von Menschen fest und erfinden Rassekriterien. Dem verweigert sich die wehrhafte Demokratie. Aus gutem Grund.

Das war es auch, weshalb es nicht sinnvoll gewesen wäre, dem NPD-Kandidaten fürs Bundespräsidentenamt Rennicke plötzlich Rederecht auf der Bundesversammlung einzuräumen. Denn ein Forum für völkische Propaganda bieten, müssen Demokraten nicht.


Die MUT-Aktion des Tages: Gastwirt sprengt Neonazitreff

Mehr über den NPD-Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl

Lehrreiches über die wehrhafte Demokratie.
Von Prof. Hans-Gerd Jaschke.

Klaus Wowereit ehrt MUT.

Angela Merkel über das Grundgesetz und die Würde des Menschenden.

Bündnis für Demokratie ehrt "Botschafter für Toleranz" am 23.5.

Wo Demokratie aufhört - in Gräfenberg

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hk / Fotos: Kulick


24.05.2009
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