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Celle 2.Mai 2013 - vor 80 Jahren stürmten Nazis Gewerkschaftshäuser - Gedenken in Celle

3. Mai 2013 , Geschrieben von Parents Veröffentlicht in #Historisches

 

Rede von Paul Stern zu „Kein Vergessen – 2. Mai 1933 in Celle“

 
Auf Initiaitive des DGB-Kreisvorstandes, mit Unterstützung des Celler Forums gegen Rechtsextremismus und Gewalt, fand anlässlich des 80. Jahrestages der Zerschlagung der Gewerkschaftsbewegung eine Gedenkveranstaltung vor dem Hause Neustadt Nr. 64 statt. Die Teilnehmenden, unter ihnen VertreterInnen von ver.di, der IG Metall, der VVN-BdA und der Partei DIE LINKE, konzentrierten sich auf die Beiträge von Paul Stern (DGB-Kreisvorsitzender Celle) und Charly Braun (DGB-Kreisvorsitzender Heidekreis).

Rede von Paul Stern (DGB-Kreisvorsitzender Celle) auf der Veranstaltung „Kein Vergessen – 2. Mai 1933 in Celle“ am 2. Mai 2013, ungekürzt und unkommentiert:

“Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten, die Gewerkschaften und gewerkschaftsnahe Organisationen hatten bis zum 2. Mai 1933 Büros und Heime als Stützpunkte ihrer Arbeit. Die Gewerkschaften hatten Gesichter und Namen und wir wollen sie nicht vergessen.
Der Vorsitzende des Ortsausschusses Celle des ADGB war Heinrich Peters aus der Hattendorffstrasse 21.
Im Ortsausschuss waren folgende Sparten vertreten: Der Bergbauindustrieverband mit dem Vorsitzenden Kohring aus der Gehrkengasse 9; der Deutsche Metallarbeiterverband mit dem Vorsitzenden Ernst Weiß aus der Spangenbergstrasse 41; der Verband der Nahrungsmittel- und Getränkearbeiter mit dem Vorsitzenden August Beckmann aus der Breiten Strasse 9; der Fabrikarbeiterverband mit dem Vorsitzenden Georg Apel vom Maschplatz 4; der Einheitsverband der Eisenbahner mit dem Vorsitzenden Eisenberger, wohnhaft in Lehrte-Burgdorf; der Gesamtverband mit dem Vorsitzenden Beckmann aus der Blumlage 71; der Gesamtverband – Abteilung Wasserbau mit dem Vorsitzenden Lüßenheide aus der Kuckuckstrasse 6; der Verband der Bekleidungsarbeiter mit dem Vorsitzenden Albert Wrede vom Brandplatz 1; der Verband der deutschen Buchdrucker mit dem Vorsitzenden Lühr aus der Zöllnerstrasse 23; der Verband der Dachdecker mit dem Vorsitzenden Windel aus der Burgstrasse 11; der Verband der Holzarbeiter mit dem Vorsitzenden Ludwig Köhler aus der Carstensstrasse 23; der Verband der Lederarbeiter mit dem Vorsitzenden Häker aus der Fuhrberger Strasse 94; der Verband der Maler und Lackierer mit dem Vorsitzenden Dümeland vom Waldweg 15; der Verband der Musiker mit dem Vorsitzenden Schünemann, wohnhaft im St.-Georgsgarten/Block 5/Haus3; der Verband der Steinsetzer mit dem Vorsitzenden Otto Knauf von dser Heese 36; der Verband der Zimmerer mit dem Vorsitzenden Heinrich Neelen aus der Weinstrasse 5 in Klein-Hehlen sowie der Zentralverband der Hotel-, Restaurant- und Kaffee-Angestellten mit dem Vorsitzenden Petersen aus der Mauernstrasse 38. Insgesamt ein breiter Organisierungsgrad von Berufen und Sparten.
Schon früh gab es gewerkschaftliche Aktivitäten in Celle. Bereits im August 1894 hielt der 1890 gegründete Fabrikarbeiterverband, die Vorläuferorganisation der IG Chemie, Papier, Keramik, seinen Zweiten Verbandstag in Celle ab. Hier lagen erstmals Anträge für die Einführung einer Arbeitslosenunterstützung vor, die jedoch aufgrund mangelnder finanzieller Mittel des Verbandes nicht verwirklicht werden konnte.
Aber wie war die Lage der Gewerkschaften 1932 und wie kam es zur Katastrophe ?
Am 20. Juli 1932 enthob die Reichsregierung verfassungswidrig die sozialdemokratisch geführte Regierung Preußens ihres Amtes. Die Sozialdemokratie – und die ihnen nahestehenden Gewerkschaften – entschieden sich, keinen außerparlamentarischen Widerstand zu leisten, d.h. nicht zum Generalstreik aufzurufen, sondern den Rechtsweg einzuschlagen. Sie erhoben Klage beim Reichsgericht -, und setzten alle Hoffnung auf die am 31. Juli anstehende Reichstagswahl.
Das Ergebnis dieser Wahl war ein Desaster für die Sozialdemokratie. Die Nazis – die 1930 als eine kleine Splitterpartei mit 12 Mandaten bereits den phänomenalen Sprung auf 107 Mandate schafften – feierten einen triumphalen Erfolg. Sie erhielten 37,4 Prozent der Stimmen und 230 Mandate. Die SPD verlor 10 und zählte nur noch 133 Mandate, die KPD konnte 12 Mandate zugewinnen und erreichte 89. Die Nazis waren stärker als beide Arbeiterparteien zusammengenommen.
Angesichts der immer katastrophaler werdenden Wirtschaftskrise mit über 6 Millionen Arbeitslosen machte sich zunehmende Ratlosigkeit in den Reihen der Sozialdemokratie breit. Der Glaube an die eigene Fähigkeit, diese zentrale Herausforderung meistern zu können, war geschwunden. Die Gewerkschaftsführung begann eine Absetzbewegung von der SPD einzuleiten und Fühler zur politischen Rechten auszustrecken. Für diese Politik bürgerte sich schnell ein Name ein: “Leipart-Kurs”. Theodor Leipart war der Vorsitzende des freigewerkschaftlichen Dachverbandes (ADGB), und hauptverantwortlich für diese Politik. Schon 10 Tage nach der Wahl suchte die Führung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) das Gespräch mit der Regierung Papen-Schleicher – ohne den Staatsstreich gegen Preußen auch nur zu erwähnen. Am 14. Oktober 1932 erklärte Leipart in einer Grundsatzrede an der Bundesschule des ADGB in Bernau, daß die Gewerkschaften nicht länger geneigt seien “Parteifesseln zu tragen”. Das war vorsichtig formuliert. Die Novemberwahl 1932 nährte dann nochmals Hoffnungen auf eine Wende, als die Nazis böse Verluste hinnehmen mußten. Sie verloren 34 Mandate und kamen auf 33,1 Prozent der Stimmen, waren also immer noch die weitaus stärkste Fraktion. Die SPD verlor nochmals 12 Sitze, die KPD gewann 11 hinzu.
Im Januar 1933 gab der Reichspräsident Hindenburg im seinen Widerstand gegen den “böhmischen Gefreiten” auf und ernannte Hitler am 30. Januar zum Reichskanzler .
SPD- und Gewerkschaftsführer diskutierten erneut, ob jetzt der Zeitpunkt zum Widerstand gekommen sei. Wieder schreckte man vor dieser Konsequenz zurück. Wieder weckte man Hoffnungen auf die nächste Reichstagswahl, die Hitler für den 5. März angekündigt hatte. Inzwischen gingen die Nazis – jetzt im Besitz der staatlichen Gewaltmittel – mit brutalem Terror gegen exponierte GewerkschafterInnen, SozialdemokratInnen und KommunistInnen vor. Die Gewerkschaftsführungen wandten sich hilfesuchend an den Reichspräsidenten. Zur Wahl am 5. März wagten sie es nicht mehr, offen für die Wahl der Sozialdemokratie aufzurufen. Doch wußten sie noch sehr genau, über welche Alternative in dieser Wahl abgestimmt wurde. Sie forderten ihre Mitglieder auf, sich zwischen Demokratie und Diktatur zu entscheiden. Es spricht vieles dafür, daß der harte Kern der Sozialdemokratie und der KPD, die Industriearbeiterschaft, den Parteien auch in dieser letzten halbwegs freien Wahl die Treue hielt. Die SPD verlor 2,1 Prozent der Stimmen ,die KPD 4,6 Prozent. Doch die Nazis gewannen 10,8 Prozent dazu (43,9 Prozent). Zusammen mit der verbündeten “Kampffront Schwarz-Weiß-Rot” kam die anti-demokratische Regierungskoalition auf 51,9 Prozent der Stimmen und hatte nun auch eine Mehrheit im Reichstag.
Für die Gewerkschaftsführung war damit eine Entscheidung gefallen .Für sie hatte “das Volk gesprochen” und die vom Reichspräsidenten berufene Regierung bestätigt. Dies war nicht falsch gesehen, doch die Konsequenz, die sie glaubte daraus ziehen zu müssen, war katastrophal. Der ADGB signalisierte den Nazis nicht Widerstand, sondern seine Bereitschaft zur Anpassung und Mitarbeit. Die Nazis ignorierten diese Signale und verstärkten ihren Terror weiter. Die Gewerkschaften glaubten deutlicher werden zu müssen. Am 21. März erklärte der ADGB, die “sozialen Aufgaben der Gewerkschaften müssen erfüllt werden, gleichviel welcher Art das Staatsregime ist…” und stellte die “Form der Organisation” zur Disposition – mit dem Hinweis, daß die Wahrung der Arbeiterinteressen Vorrang hätten. Leipart übermittelte diese Erklärung direkt an Adolf Hitler.
Dieser zeigte den Gewerkschaften immer noch die kalte Schulter. Am 9. April, die Anzeichen, daß die Nazis ihr wohlbekanntes Ziel, die “marxistischen Gewerkschaften zu zertrümmern” (Hitler, Mein Kampf), unbeirrt weiter verfolgten, wurden immer dramatischer, erklärte sich die ADGB-Führung bereit, “die von den Gewerkschaften in jahrzehntelanger Wirksamkeit geschaffenen Selbstverwaltungsorganisation der Arbeitskraft in den Dienst des neuen Staates zu stellen.” Da kam es ganz gelegen, daß der jüdische Vorsitzende des freien Angestelltenbundes Siegfried Aufhäuser angeblich auf eigenen Wunsch seinen Rücktritt erklärte. Jetzt erhielten sie von der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) eine Einladung zu Gesprächen über die zukünftige Form einer einheitlichen gewerkschaftlichen Organisation. Die Führungsriege des ADGB, Leipart, Eggert, Graßmann und Leuschner ließen sich auf dieses Gespräch am 13. April ein. Die NSBO verlangte die Führung in der neuen Organisation und den Rücktritt von Leipart. Mit dem Hinweis, daß die Vorsitzenden einer Gewerkschaft gewählt werde, lehnte dieser einen Rücktritt ab. Unverrichteter Dinge ging man auseinander
Parallel zu dem Versuch, sich mit den Nazis zu arrangieren ,versuchte der ADGB sich mit den Führungen der beiden anderen Richtungsgewerkschaften, den christlichen und liberalen (Hirsch-Dunckerschen) Gewerkschaften, auf eine gemeinsame “Einheitsorganisation” zu einigen. Der Ende April gegründete “Führerkreis” erkannte das nationalsozialistische Terrorregime samt Führerdiktatur ergebenst an und akzeptierte auch noch die ideologischen Grundlagen des “völkischen Einheits- und Machtwillens”. Hinfort sollte es keine “klassenmäßige Trennung” und auch keine “volksabgewandte Internationalität” mehr geben. (Christliche und liberale Gewerkschaften waren traditionell schon immer “national” und gegen Klassenkampf eingestellt gewesen, und hatten viel weniger Skrupel bei diesem Unterwerfungskurs zu überwinden.)
Am 15. April “begrüßte” der Bundesvorstand, daß die Nazis den 1. Mai “zum gesetzlichen Feiertag der nationalen Arbeit” erklärt hatten .Am 19. April forderte der Bundesausschuß des ADGB die Gewerkschaftsmitglieder auf, sich dem 1. Mai der Nazis anzuschließen. Begleitet wurde der “Leipart-Kurs” mit theoretisch-ideologischen Rechtfertigungen von Funktionären aus der 2. Reihe – was natürlich nicht ohne Zustimmung und Billigung der gewählten und verantwortlichen Führung möglich war. Die Erklärungen der Funktionäre zeigten nicht nur die ängstliche Taktik der Gewerkschaftsführung, die Organisationen um jeden Preis der Anpassung an das Naziregime retten zu wollen, sondern dass Gewerkschafter dem braunen Irrationalismus erlegen waren und zu Überzeugungstätern wurden. Hermann Seelbach, der Leiter der ADGB-Bundesschule in Bernau gibt mit seinem Bekennerschreiben “Das Ende der Gewerkschaften” dafür ein besonders eindrucksvolles Beispiel . Nachdem man sich von der parlamentarischen Demokratie verabschiedet hatte, gab es für diese sozialdemokratischen Gewerkschafter auch wenig Trennendes mehr zu den Nationalsozialisten. Keine “andere Rangordnung der Werte Nation und Sozialismus” habe sie von den Nationalsozialisten unterschieden, “sondern lediglich eine andere Prioritätsordnung.” Deshalb könne die sozialistische Arbeiterbewegung den “Tag der nationalen Arbeit” ebenfalls als einen “Tag des Sieges” empfinden.
Es mag Gründe gegeben haben, einen Generalstreik sowohl zur Abwehr des Staatsstreiches von Papen als auch bei der Ernennung von Hitler zum Reichskanzler nicht zu wagen, doch folgt daraus nicht zwingend ein “Leipart-Kurs” der Anpassung, Anbiederung und Unterwerfung der Gewerkschaften. Die der KPD nahestehenden „Revolutionären Gewerkschafts-Opposition“ kritisierte scharf diesen Kurs.
Mit dem Aufruf zum 1. Mai 1933 fand die Geschichte der eigenständigen Gewerkschaftsbewegung in Deutschland durch weitestgehende Selbstaufgabe ihr vorläufiges Ende. Auch in Celle liefen die GewerkschafterInnen hinter den brauen Fahnen vom „Wildgarten“ zum Neustädter Holz. Als am 2. Mai die Nazis die Gewerkschaftshäuser in Celle und anderswo überfielen, führende Funktionäre willkürlich mißhandelten und verhafteten und die Gewerkschaften gewaltsam in Besitz nahmen, gab es für Mitglieder und Funktionäre nichts mehr zu verteidigen, für das es sich gelohnt hätte, “Freiheit und Leben” einzusetzen. Keine Hand rührte sich mehr. Der “Leipart-Kurs”, die Organisationen um den Preis der Aufgabe der Idee zu retten, war gescheitert.
Nur wenige aktive Kerne der Industriearbeiterschaft hatten sich auf die Illegalität vorbereitet. Diejenigen, die die Konzentrations- und Arbeitslager, die Gefängnisse und Zuchthäuser, die antifaschistischen Kämpfe in Spanien und bei den Partisanen und in den Strafbatallionen der 999er überlebt hatten, fingen im Mai 1945 wieder an, die gewerkschaftlichen Strukturen aufzubauen. Es einte sie damals gewiss alle das Bekenntnis der Buchenwald-Häftlinge: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus.
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit und eure Beteiligung an der heutigen Gedenkveranstaltung.”
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