NDR.de 11.11.2011: Rotlicht-Besuch bringt Polizeichef unter Druck
"Ich habe nicht nachgedacht", sagte Polizeipräsident Christian Grahl dem NDR. (Archivbild) Für viele Polizisten Niedersachsens ist Hannovers Amüsier- und Rotlichtviertel Steintor eine Tabuzone. Der Grund: Das Areal gilt als Einflussgebiet der Rockergruppe "Hells Angels". Auch deshalb hatte Hannovers früherer Polizeipräsident, Uwe Binias, in einer internen Mitarbeiterzeitschrift der Polizeidirektion Hannover noch im Herbst vergangenen Jahres seine Beamten vor einem Besuch des Viertels gewarnt: Es sei ein Interessen-Widerspruch, "wenn man in seiner dienstlichen Funktion damit rechnen muss, im Steintorviertel tätig zu werden, aber vorher an gleicher Stelle fröhlich feiert und Kontakte knüpft," schrieb Binias. Ihn werde man deshalb ganz bestimmt nicht als Gast am Steintor treffen, ließ Hannovers Polizeipräsident Binias seine Mitarbeiter wissen. Ein anderer Polizeipräsident hatte da in eigener Sache offenbar weniger Bedenken.
Christian Grahl (55), seit gut eineinhalb Jahren Chef der Zentralen Polizeidirektion (ZPD) des Landes Niedersachsen, feierte nach NDR Recherchen in der Nacht vom 18. auf den 19. August dieses Jahres ausgelassen in der "Sansibar", der größten Bar in Hannovers Steintorviertel, die früher dem "Hells Angels"-Boss Frank Hanebuth gehörte. Und Grahl kam nicht allein - zuvor hatte er nämlich die rund 300 Teilnehmer der Deutschen Polizeimeisterschaften der Leichtathletik in Hannover besucht. Einige von ihnen begleiteten ihn zum Steintor.
Ein pikanter Vorgang, denn Grahl ist als Präsident der rund 1.100 Beamte zählenden ZPD nicht nur Chef von Wasserschutzpolizei und Kampfmittelbeseitigungsdienst der niedersächsischen Polizei, sondern auch Dienstherr der Bereitschaftspolizei. Deren Angehörige müssen jederzeit damit rechnen, zu Einsätzen auch gegen Rocker herangezogen zu werden.
Mit den NDR Recherchen konfrontiert sprach Polizeipräsident Grahl von einer "unüberlegten und entbehrlichen" Handlung. Er sei an dem fraglichen Abend spontan mit Kollegen in der "Sansibar" eingekehrt und habe sie nach einem kurzen Aufenthalt und einem Bier wieder verlassen. Heute bedauere er das: "Es war mein erster und letzter Besuch" dort, so Grahl.
Seine Autorität als Polizeipräsident sieht er nicht gefährdet: "Wenn ich offen damit umgehe und sage, das war unangemessen, wird man das in Polizeikreisen akzeptieren", sagte Grahl. "Ich habe einfach in der damaligen Situation ein einziges Mal nicht genügend nachgedacht."
Polizeipräsident Christian Grahl bezeichnet seinen Besuch in der "Sansibar" als "den ersten und zugleich letzten". Er ist aufgrund des Besuchs unter Druck geraten.
Christian Grahl zählt zu den engsten Vertrauten von Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Er war dessen Büroleiter und gilt als aussichtsreichster Kandidat für den Spitzenposten der IT-Abteilung im niedersächsischen Innenministerium. Nach Ansicht von Schünemann ist der Polizeipräsident bei diesem Vorfall seiner Vorbildrolle nicht gerecht geworden. Dies sei auch Grahl klar geworden. Grahl habe den Innenminister nach dem Besuch in der "Sansibar" über den Vorfall informiert. Daraus sei ein "Personalgespräch" gefolgt, teilte das Innenministerium mit.
In der politischen Landschaft fallen die Reaktionen auf die Steintor-Visite des Polizeipräsidenten vor allem bei der SPD deutlich aus. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Klaus-Peter Bachmann, fordert Konsequenzen: "Ich bin der Auffassung, dass der Polizeipräsident der ZPD nicht mehr in diese Funktion gehört. Er darf nicht befördert werden, wie man das im Innenministerium plant." Bachmann kritisiert, Grahl habe mit seinem Besuch am Steintor die Szene dort "hoffähig gemacht". Was Bachmann besonders empört: "Das Dienstfahrzeug zu benutzen, um dort eine Rotlicht-Kneipe aufzusuchen, und das auch noch in Begleitung weiterer Polizisten, das ist nicht nur ein wenig Nicht-Nachdenken, das ist dösbaddelig."
Ausgerechnet in die Sansibar kehrten Grahl und einige Polizisten ein. Auch aus Kreisen der Polizeigewerkschaften hagelt es Kritik: Der stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Bernd Carstensen aus Kiel, sagte, ein hoher Polizeibeamter dürfe sich nicht an kompromittierenden Orten aufhalten. Dies könne ihn auf Sicht erpressbar machen. Und Dietmar Schilff, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Niedersachsen, gibt zu bedenken: "Der Innenminister muss ein deutliches Gespräch mit Herrn Grahl führen und dann auch die Konsequenzen ziehen." Das Gespräch hat es nun gegeben, weitere Konsequenzen scheint Christian Grahl zurzeit aber nicht zu fürchten: "Der Minister hat ein Gespräch mit mir geführt und damit war die Sache dann auch erledigt."
In Hannover ist das Steintor derzeit wieder ein heiß diskutiertes Thema. Hannovers neuer Polizeivizepräsident, Thomas Rochell, hatte erst kürzlich mit einem dringenden Appell für Schlagzeilen gesorgt: "Ich finde auch, die Hannoveraner sollten ihr Geld nicht dort ausgeben, wo die Hells Angels davon profitieren. Jeder, der das tut, muss wissen, dass er damit die Position der Rocker und ihres Chefs stärkt."
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