SS Mann in Hannover-Langenhagen unbehelligt
SS Mann in Hannover-Langenhagen unbehelligt
Ermittlungen gegen SS-Mann Ein verhängnisvoller Brief
22.04.2010, 06:292010-04-22T06:29:00 CEST+0200 Süddeutsche Zeitung
Von Christoph Cadenbach und Bastian Obermayer
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den früheren SS-Mann Erich Steidtmann - er soll an Massakern im besetzten Polen beteiligt gewesen sein.
Ermittlungen gegen SS-Mann; AP
Erich Steidtmann steht im Verdacht, im Herbst 1943 an zwei Massenerschießungen von Juden beteiligt gewesen zu sein. Im Bild: Historisches Foto der Kopfbedeckung eines SS-Offiziers. Foto: AP
Die Staatsanwaltschaft Hannover hat aufgrund von Recherchen des Süddeutsche Zeitung Magazins Ermittlungen gegen einen ehemaligen SS-Hauptsturmführer wieder aufgenommen. Der 95 Jahre alte Erich Steidtmann steht im Verdacht, als Hauptmann der Polizei mit einer ihm unterstellten Kompanie im Herbst 1943 an zwei Massenerschießungen von Juden beteiligt gewesen zu sein.
Bei den Massakern im Raum Lublin im besetzten Polen wurden etwa 30.500 Menschen ermordet. Außerdem gab das Simon-Wiesenthal-Center bekannt, Steidtmann an diesem Donnerstag auf die Liste der meistgesuchten Naziverbrecher weltweit zu setzen.
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Gegen Erich Steidtmann wurde schon in den sechziger und siebziger Jahren ermittelt, allerdings wurde das Verfahren 1974 mangels Beweisen eingestellt. 2007 lenkte er dann den Blick der Öffentlichkeit selbst noch einmal auf seine Rolle im Dritten Reich: Damals klagte er gegen die Autobiografie der ehemaligen Gestapo-Sekretärin Lisl Urban, die in ihrem Buch von einer Liebesbeziehung mit einem SS-Offizier schrieb.
Obwohl er anonymisiert war, erkannte sich Steidtmann darin wieder und sah seine Persönlichkeitsrechte verletzt (SZ vom 17.12.2007). Am Rande erwähnte Steidtmann in seiner Klageschrift, dass die Einheit, die er Anfang 1943 führte, mit der Bewachung des Warschauer Ghettos betraut war.
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Auf dieses Bekenntnis stieß der Historiker Stefan Klemp, der im Auftrag des Simon-Wiesenthal-Centers arbeitet. Klemp fand Belege dafür, dass Steidtmann auch im Ghettokampf eingesetzt war und übergab seine Vorrecherche der Staatsanwaltschaft. Diese stellte jedoch im Januar 2009 aufgrund der schlechten Beweislage das Verfahren ein, ohne Erich Steidtmann zu den Vorwürfen vernommen zu haben.
Zweifelhafte Aussage
Allerdings war Steidtmann nicht nur Kompanieführer im Warschauer Ghetto, sondern führte im Herbst 1943 auch eine Kompanie im Raum Lublin, wo am 3. und 4. November die Massenerschießungen der sogenannten Aktion Erntefest stattfanden.
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Dass Steidtmanns Einheit, die erste Kompanie des Polizeibataillons 101, an diesen Massakern beteiligt war, gilt als gesichert: Der amerikanische Historiker Christopher R. Browning, Autor eines Standardwerks über das Polizeibataillon 101, kam zu dem Schluss, die Männer des Bataillons hätten "an so gut wie jeder Phase der Aktion" teilgenommen, nur geschossen hätten Spezialeinheiten. Steidtmann behauptete jedoch in einer Vernehmung 1963, er sei zu dieser Zeit auf Heimaturlaub gewesen.
Im Zuge der Recherchen fand das SZ-Magazin nun in einem Brief Steidtmanns einen Hinweis, der gegen seine Aussage spricht. Dieser Brief datiert vom 31. Oktober 1943, also drei Tage vor dem Massaker, und Steidtmann schrieb ihn offensichtlich aus dem Einsatz: Anstelle seiner Heimatadresse und der üblichen Ort/Datum-Kombination setzt Steidtmann seine Feldpostnummer und das Kürzel "O.U." für "Ortsunterkunft".
Ermittlungen gegen SS-Mann Steidtmann soll befragt werden
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Dieses Kürzel war Vorschrift bei Feldpost, damit abgefangene Briefe feindlichen Truppen nicht verrieten, wo die Einheit stationiert war. Als derzeitigen Wohnsitz gab er den "Standort Lublin" an. All das bedeutet: Steidtmann war an diesem 31. Oktober vermutlich nicht im Urlaub.
Wo er sich drei Tage später aufhielt, wird nun zu klären sein. Der Historiker Christopher R. Browning sagte dazu auf Nachfrage, es sei "vollkommen unglaubhaft, dass der Führer einer Kompanie in Lublin drei Tage vor dem 'Erntefest' abreisen sollte, gerade als seine Kompanie sich aufmachte, an einem großen Einsatz teilzunehmen."
Auf der Suche nach Zeugen
All dem wird die Staatsanwaltschaft Hannover in den kommenden Wochen auf den Grund gehen, jedenfalls so weit dies heute noch möglich ist. In jedem Fall aber wird sie Erich Steidtmann befragen lassen und versuchen, noch lebende Zeugen ausfindig zu machen.
Auch Steidtmanns Rolle im Warschauer Ghetto wird wohl noch einmal genauer untersucht werden. Er hatte 1963 in seiner ersten Befragung zu Protokoll gegeben, er habe sich dort "als Stoßtruppführer zur Ausräucherung und Einzelliquidierung von Widerstandsnestern freiwillig gemeldet".
Es könnte also zu einem weiteren Kriegsverbrecherprozess in Deutschland kommen. Zuletzt wurde in Aachen der frühere SS-Mann Heinrich Boere, 88, zu lebenslanger Haft verurteilt. Er hatte gestanden, 1944 in den besetzten Niederlanden drei Zivilisten erschossen zu haben. In München steht derzeit John Demjanjuk, 90, vor Gericht, der im Vernichtungslager Sobibor am tausendfachen Judenmord beteiligt gewesen sein soll. Auch gegen Zeugen aus diesem Prozess, wie der Angeklagte mutmaßliche Wachmänner, wird derzeit ermittelt.
TAZ vom 07.11.2007
Ehemaliger Warschauer Ghetto-Kommandeur
SS-Mann klagt wegen "Ehrverletzung"
Er will ein Buch verbieten lassen, das seine Exgeliebte geschrieben hat. Dabei kommt der 93-Jährige Erich Steidtmann darin gut weg. Vor Gericht wehrt er sich mit hanebüchenen Äußerungen. VON MICHAEL BARTSCH
Warschauer Ghetto, Mai 1943: Erich Steidtmann, 4. von rechts, ist um seinen Ruf besorgt. Foto: dpa
Die Autobiografie der Sudetendeutschen Lisl Urban hätte als widerspruchsvolles Zeitgemälde des 20. Jahrhunderts in die zweite Auflage gehen können. Doch in den Lebenserinnerungen kommt ein Hauptmann namens Eike vor und eigentlich ziemlich gut weg. Es handelt sich um den mittlerweile fast 93-jährigen ehemaligen SS-Hauptsturmführer Erich Steidtmann. Er las die ihn betreffenden Passagen ganz anders und klagt jetzt gegen die Autorin und den kleinen Dingsda-Verlag in Querfurt wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte, Beleidigung und Verleumdung.
"Die Wahrung meiner Berufsehre ist mir ein unabdingbares Grundbedürfnis", schreibt der Altnazi in seiner Strafanzeige, mit der er das Buch verbieten lassen will. Am Dienstag fand die Verhandlung am Landgericht in Leipzig statt.
Das Gericht ließ erkennen, dass es kaum Belege für beleidigende Äußerungen und Ehrverletzungen sieht. Das Urteil wird erst im Dezember verkündet, doch Verleger Joachim Jahns zeigte sich nach der Verhandlung zuversichtlich. Der unbefangene Leser des ersten Teils der Trilogie "Ein ganz gewöhnliches Leben" kann jenen Eike in der Tat als positive Figur wahrnehmen. Die Autorin erzählt in bilderreicher Sprache ihre Lebenserinnerungen. Sie kaschiert nicht ihre Begeisterung für Hitler, für einen SS-Offizier, den sie heiratet und der sie als Bürokraft bis in die Prager Gestapo-Zentrale führt. Sie erlebt aber bewusst auch schon die Übergriffe auf Juden und Tschechen und deutsche Kulturbarbarei. Die Ehe wird 1942 geschieden.
Bald darauf verliebt sie sich in einen Hauptmann, jenen "Eike", der von der russischen Front kommt. Sie wird von ihm schwanger. Geschildert wird er im Buch stets aus der Perspektive einer leidenschaftlich Verliebten. Der Leser erfährt nicht mal etwas von seiner SS-Mitgliedschaft, nichts davon, dass er die äußere Absperrung des Warschauer Ghettos befehligte, an der Niederschlagung eines Aufstandes von 400 deutschen Deserteuren beteiligt war. Geradezu Sympathie heischend erscheint der Vorgang, der zum Bruch der Beziehung führte. In der Version der Autorin soll Eike versucht haben, zwei polnische Mädchen vor der Deportation zu retten und wurde deshalb des Verkehrs mit Juden und Polen beschuldigt. Schließlich habe er eine der Polinnen geheiratet.
In seiner selbstverfassten Klage wird Steidtmann alias Eike nun selbst beleidigend. Darin stehen Sätze wie "Männer genießen Flittchen, heiraten sie aber nicht" und "Das Ghetto war kein Objekt für Gaffer und sadistische Genießer, schon gar nicht für Romanschreiberinnen". Am wichtigsten ist ihm aber immer wieder der Schutz seiner Ehre, deren Schutz auch "nach Ende des aktiven Dienstes vom Staat garantiert sein sollte". So empfindet er die Behauptung bereits als ehrenrührig, er habe sein Eisernes Kreuz im Partisanenkampf erhalten, ebenso die angebliche Urkundenfälschung zur Rettung der Polinnen. Steidtmann bestreitet seine Mitgliedschaft in der NSDAP und dass er freiwillig in die SS eingetreten sei.
Recherchiert hat auch der beklagte Verleger Jahns über Steidtmann, der erst mit seiner Beschwerde erneut auf sich aufmerksam gemacht hat. Jahns vermutet, dass Steidtmann so allergisch reagiert, da möglicherweise erneut nach seiner Beteiligung an Kriegsverbrechen und Liquidationen im Warschauer Ghetto gefragt werden könnte. 1945 war er dank seiner polnischen Frau von der polnischen Militäradministration rehabilitiert worden und trat in den Polizeidienst in Sachsen-Anhalt und später in Hannover ein.
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/33508 http://www.sueddeutsche.de/politik/26/509161/text/ http://www.sueddeutsche.de/politik/26/509161/text/7/ http://www.bild.de/BILD/regional/hannover/aktuell/2010/04/23/lebt-in-hannover-ein-nazi-verbrecher/staatsanwalt-untersucht-mord-an-30000-juden.html## http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Staatsanwaltschaft-Hannover-ermittelt-gegen-frueheren-SS-Mann
http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/ss-mann-klagt-wegen-ehrverletzung/?src=HL&cHash=bbae5a73f9