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„Storch Heinar": Mit Satire gegen rechtsextremen Lifestyle

9. Juni 2011 , Geschrieben von Parents Veröffentlicht in #Kampf gegen Nazis - Bundesweit

Ein Storch, der sich „Führer“ nennt, Hitler-Bart trägt und die Rechtsextremen von heute für Lifestyle-Schluffis hält. Ein Scherz? Ja, und zwar ein lustiger und 
wichtiger. Denn nur mit Satire kann man den Ewiggestrigen aus der rechten Szene entgegentreten, sagen die Macher des Projekts „Storch Heinar“. 

Den Rechten den Marsch blasen: Führerstorch Heinar mit seiner Band „Storchenkraft“.

Den Rechten den Marsch blasen: Führerstorch Heinar mit seiner Band „Storchenkraft“.

© dpa

Der dunkle Schopf ist glatt gescheitelt, der markante kurze Schnurrbart ruht in der Mitte des Gesichts. Es ist der „Führer“, der hier direkt in die Kameras blickt. Er will die Weltherrschaft. Und er meint es ernst.

Der „Führer“ ist ein Witz, genauer: eine Satire. Denn in die Kamera schaut Storch Heinar, eine Vogel gewordene Adaption Adolf Hitlers. Und die wohl gelungenste Auseinandersetzung mit der rechtsextremen Szene, die es derzeit in Deutschland gibt.

Storch Heinar ist ein Projekt der Gruppe „Endstation Rechts“ um den Mecklenburg-Vorpommerschen SPD-Landtagsabgeordneten Mathias Brodkorb. Nach der Wahl 2006 zog die NPD in den Schweriner Landtag ein. Brodkorb, sein Mitstreiter Julian Barlen und weitere Aktivisten begannen damit, die Arbeit der sechs NPD-Abgeordneten zu begleiten. Sie dokumentierten Äußerungen im Plenarsaal und außerhalb des Landtags, analysierten Strategien und Verbindungen zu anderen rechten Gruppen und kommentierten ihre Erkenntnisse. „Endstation Rechts“ hat berechnet, dass die NPD für ihre Landtagsarbeit weit über eine Million Euro erhält. „Dieses Geld nutzen die Rechten, um ihre braune Ideologie in der Gesellschaft zu verbreiten, etwa auf Infoveranstaltungen zum Thema Überfremdung des deutschen Arbeitsmarktes“, sagt Julian Barlen.

Als ein Kleidungsgeschäft mitten in der Rostocker Innenstadt Artikel der unter Rechtsextremen beliebten Marke Thor Steinar verkaufte, war für die Gruppe klar: „Wir wollen keinen Laden, auf dessen Kleidung eine menschenverachtende Botschaft prangt“, sagt Barlen im Rückblick. Thor Steinar steht sinnbildlich für den Wandel von Mode, Stil und Erkennungszeichen in der rechten Szene. Die ersten Logos der Marke waren Runenzeichen, dem SS-Wappen zum Verwechseln ähnlich. Die Träger hatten überwiegend breite Schultern und kahle Köpfe. Dann wurde es subtiler, auch, weil die Herstellerfirma Mediatex einige Prozesse wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole verlor. Heute ziert das Hauptlogo ein Kreuz mit Punkten. Thor Steinar ist weiterhin sehr beliebt in der Szene, der Kult ist geblieben.

Rechte Lifestyle-Mode ist im Trend, auf der Internetseite von Thor Steinar werden sogar Accescoires wie bunte Stoffgürtel oder Gürteltaschen angeboten, die aussehen, als könnten sie auch in gängigen Modehäusern verkauft werden.

„Unser Ziel war, auf humoristische Art alle Altersgruppen anzusprechen und auf den neuen Lifestyle der Rechtsextremisten aufmerksam zu machen“, sagt Barlen. Dann kam der Storch ins Spiel. Barlen saß mit Mathias Brodkorb, Robert Patejdl und einer Reihe weiterer Aktivisten im heimischen Wohnzimmer. „Mit dem Storch wollten wir die braunen Modeopfer der Lächerlichkeit preisgeben“, sagt Barlen. Aber darf man das machen, mit einem Storch Adolf Hitler imitieren, dessen Sprache aufgreifen, mit Begriffen wie „Eilösung“ sogar Bezeichnungen des Holocausts aufgreifen? Barlen: „Überspitzungen sind ein wichtiges Mittel, um die Nazis lächerlich zu machen.“

Barlen arbeitet ehrenamtlich im Vertrieb der Storch-Heinar-Produkte. Im vergangenen Jahr schien das satirische Label bedroht. Mediatex klagte Projektleiter Mathias Brodkorb wegen der Verletzung und Verunglimpfung der Thor-Steinar-Produkte an.
Im Umfeld von Storch Heinar wird gern von den „Nürnberger Modeverbrecherprozessen“ gesprochen. Mediatex verlor. Lediglich ein T-Shirt musste Storch Heinar aus dem Programm nehmen. Ansonsten: keine Verletzung der Markenrechte, keine Verunglimpfung von Thor Steinar. Satire darf das, das ist ein wichtiger Teil dieses Urteils. „Der Prozess hat uns bundesweite Aufmerksamkeit verschafft“, erinnert sich Barlen, der sich auch heute noch gerne an das Urteil zurückerinnert.

Und jetzt also „Mein Krampf. 18 Episoden aus dem selbst gefälschten Tagebuch des F. H.“ Schon der Titel ist voll mit Anspielungen. Dass es um Hitlers „Mein Kampf“ geht, ist noch recht deutlich. 18 Episoden sind es, weil in rechtsextremen Kreisen die 18 gerne auf Shirts oder bei Tätowierungen benutzt wird. 18, das steht für den ersten und den achten Buchstaben im Alphabet. A und H. Adolf Hitler. „Storch Heiner macht sich über diese Zahlenspiele lustig, weil sie einfach keinen Sinn ergeben“, sagt Barlen. Und es geht weiter mit einer Anspielung auf die gefälschten Hitler-Tagebücher, die der „stern“ 1983 veröffentlichte. Auf dem Deckblatt der angeblichen Tagebücher waren die Intialien F. H. zu sehen (die der Stern als „A. H.“ las).

Storch Heinar will die Symbole, die Mythen der Rechten neu besetzen: Der noch heute in der rechten Szene als Märtyrer gefeierte Rudolf Hess wird zum debilen Storch Rudolf, der das Ei von Führerstorch Heinar stiehlt und daraus Eierlikör macht. Nicht weniger lustig sind die Geschichten um Eva Braunstorch, Benito Storcholino und den Rest der Faschistenbande.

Das Buch ist voller Anspielungen auf Hitlers „Mein Kampf“, etwa auf die Leidensgeschichte des jungen Adolf, kriegsverwundet und als Maler unentdeckt, der hier zum schwachen Jungstorch Heinar wird, den die Modeakademie ablehnt. Auch die Mythenbildung durch Historiker wie Guido Knopp – im Buch als Guido Knapp Heinars Lieblings-TV-Held – ist Thema. Knopp hat sich mit reißerischen Dokus über Hitler und Co. einem breiten Publikum bekannt und gleichzeitig unter Wissenschaftlern unmöglich gemacht.

Auf den 88 Seiten (die Zahl steht in rechtsextremen Kreisen für „Heil Hitler“) hat das Team hinter Storch Heinar auch die eigene Entstehungsgeschiche niedergeschrieben. Dazu gibt es Einsichten in die rechte Modezene und eine ausführliche Berichterstattung zu verschiedenen Prozessen gegen Thor Steinar.

Nach dem Buch ist vor der CD. Denn bald soll ein Album von Anti-Nazi-Stücken unter dem Titel „Storchkraft“ erscheinen – eine Anspielung auf die Rechts-Rock-Band Störkraft. „Es nervt, dass die NPD mit einer Schulhof-CD auf Menschenfang geht“, sagt Barlen, „Storch Heiner tritt dem mit zackiger Marschmusik entgegen.“

Gerd Schild


Storch Heinar: „Mein Krampf. 18 Episoden aus dem selbst gefälschten Tagebuch des F. H“. Adebor, 88 Seiten, 8,88 Euro.
Mehr Informationen zum Projekt um Storch Heinar gibt es unter 
storchheinar.de und endstation-rechts.de.

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